Das Thema Longevity – also die Wissenschaft von der gesunden Langlebigkeit – wächst rasant und bringt viele neue Begriffe mit sich. Ob aus der Medizin, Ernährungswissenschaft, Psychologie oder aus der Hotel- und Spa-Praxis: Wer den Überblick behalten möchte, stößt schnell auf eine Vielzahl von Fachausdrücken. Genau hier setzt unser Longevity Glossar an.

Es erklärt die wichtigsten Begriffe klar, verständlich und wissenschaftlich fundiert – von A wie Autophagie über B wie Blue Zones bis Z wie Zellregeneration. Damit erhalten Sie nicht nur eine schnelle Orientierung, sondern auch wertvolle Impulse für die praktische Anwendung im Alltag oder in der Gesundheitsprävention. Grundsätzlich gilt:

Die Inhalte dienen ausschließlich der Information und ersetzen keine medizinische Beratung. Bei Interesse an den Themen sollte vorab und während einer Durchführung immer eine ärztliche Konsultation erfolgen.

Das Glossar wird laufend erweitert und aktualisiert, sodass Sie jederzeit die neuesten Konzepte und Trends rund um Longevity im Blick haben.

Inflammaging

Was ist Inflammaging?

Inflammaging beschreibt einen Zustand chronischer, niedriggradiger Entzündung, der mit zunehmendem Alter auftritt und nahezu alle altersbedingten Erkrankungen befeuert. Anders als akute Entzündungen, die nach Heilung abklingen, bleibt diese "stille Entzündung" bestehen und schädigt kontinuierlich Gewebe und Organe. Inflammaging gilt als einer der zentralen Treiber des biologischen Alterns und steht im direkten Zusammenhang mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Neurodegeneration und Krebs. Seine Kontrolle ist ein Schlüssel zu gesundem Altern.


Definition

Inflammaging ist ein Kunstwort aus "Inflammation" (Entzündung) und "Aging" (Altern) und bezeichnet die chronische, systemische Niedriggrad-Entzündung, die im Alterungsprozess entsteht und altersassoziierte Erkrankungen fördert.


Key Facts

  • Systemisches Phänomen: Inflammaging betrifft den gesamten Organismus und ist messbar durch erhöhte Entzündungsmarker wie IL-6, TNF-α und hsCRP im Blut
  • Multifaktorielle Ursachen: Seneszente Zellen, mitochondriale Dysfunktion, Dysbiose des Darmmikrobioms und chronischer Stress tragen zur Entstehung bei
  • Krankheitstreiber: Inflammaging ist beteiligt an der Pathogenese von Alzheimer, Arteriosklerose, Typ-2-Diabetes, Osteoporose, Sarkopenie und verschiedenen Krebsarten
  • Messbarkeit: Entzündungsmarker wie C-reaktives Protein (hsCRP), Interleukin-6 und TNF-α dienen als Biomarker für das Ausmaß des Inflammaging
  • Interventionspotenzial: Lebensstil, Ernährung und spezifische Interventionen können Inflammaging nachweislich reduzieren und damit die Gesundheitsspanne verlängern

Wissenschaftlicher Hintergrund


Mechanismus und zelluläre Wirkmodi

Inflammaging entsteht durch ein komplexes Zusammenspiel verschiedener biologischer Prozesse. Ein zentraler Mechanismus ist die Akkumulation seneszenter Zellen – alternde Zellen, die sich nicht mehr teilen, aber auch nicht sterben. Diese Zellen setzen kontinuierlich entzündungsfördernde Moleküle frei, den sogenannten SASP (Senescence-Associated Secretory Phenotype). Dieser "Entzündungscocktail" aus Zytokinen, Chemokinen und Wachstumsfaktoren schädigt benachbartes Gewebe und fördert chronische Entzündungsprozesse.

Auch die mitochondriale Dysfunktion spielt eine entscheidende Rolle. Mit zunehmendem Alter werden Mitochondrien weniger effizient und setzen vermehrt reaktive Sauerstoffspezies (ROS) frei. Diese oxidativen Stressmoleküle aktivieren den NLRP3-Inflammasom-Komplex, eine zentrale Schaltstelle der angeborenen Immunantwort, die wiederum pro-inflammatorische Zytokine wie IL-1β und IL-18 freisetzt.

Das Darmmikrobiom verändert sich im Alter ebenfalls: Die mikrobielle Diversität nimmt ab, die Darmbarriere wird durchlässiger (Leaky Gut), und bakterielle Bestandteile gelangen vermehrt in den Blutkreislauf. Dies triggert eine chronische Aktivierung des Immunsystems. Zudem trägt die sogenannte Immunoseneszenz – die altersbedingte Funktionsveränderung des Immunsystems – zu einer dysregulierten Entzündungsantwort bei.

Ein weiterer Faktor ist die Ansammlung von zellulären "Abfallprodukten" wie defekten Proteinen und DNA-Fragmenten, die nicht mehr effizient durch Autophagie entsorgt werden können. Diese aktivieren Mustererkennungsrezeptoren des Immunsystems und verstärken die inflammatorische Reaktion.


Messung und Biomarker

Die Messung von Inflammaging erfolgt primär über Entzündungsmarker im Blutserum. Hochsensitives C-reaktives Protein (hsCRP) ist der am häufigsten verwendete klinische Marker. Werte über 3 mg/L gelten als erhöht und sind mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko assoziiert. Interleukin-6 (IL-6) ist ein weiterer wichtiger Biomarker, der mit verschiedenen altersbedingten Erkrankungen korreliert.

Weitere relevante Marker sind TNF-α (Tumornekrosefaktor alpha), IL-1β, Fibrinogen und die Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG). In der Forschung werden zunehmend auch Multi-Marker-Panels eingesetzt, die ein umfassenderes Bild des entzündlichen Geschehens liefern. Epigenetische Uhren können ebenfalls Hinweise auf das Ausmaß des Inflammaging geben, da chronische Entzündung die biologische Alterung beschleunigt.


Evidenzlage

Die Rolle von Inflammaging als zentraler Alterungstreiber ist wissenschaftlich gut belegt. Longitudinalstudien zeigen, dass erhöhte Entzündungsmarker mit erhöhter Gesamtmortalität und dem Auftreten multipler altersbedingter Erkrankungen assoziiert sind (DOI: 10.1016/j.arr.2013.01.004). Die Framingham Heart Study konnte beispielsweise nachweisen, dass erhöhte IL-6- und CRP-Werte das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse signifikant erhöhen.

Bei neurodegenerativen Erkrankungen spielt Neuroinflammation – eine Sonderform des Inflammaging im Gehirn – eine Schlüsselrolle. Studien zeigen, dass aktivierte Mikroglia (Immunzellen des Gehirns) und erhöhte Entzündungsmarker im Liquor mit dem Fortschreiten von Alzheimer und Parkinson korrelieren (DOI: 10.1038/nrn.2017.11).

Interventionsstudien belegen, dass Lebensstilfaktoren wie mediterrane Ernährung, regelmäßige Bewegung und Stressreduktion Entzündungsmarker signifikant senken können. Die PREDIMED-Studie zeigte, dass eine mediterrane Diät CRP und IL-6 reduziert (DOI: 10.1186/1741-7015-11-207).


Praxisrelevanz für Longevity

Inflammaging ist nicht nur ein theoretisches Konzept, sondern ein hochrelevanter Ansatzpunkt für präventive Interventionen. Da chronische Entzündung ein gemeinsamer Nenner fast aller altersbedingten Erkrankungen ist, bietet ihre Kontrolle das Potenzial, multiple Krankheitsrisiken gleichzeitig zu reduzieren. Dies entspricht dem Paradigma der "Geroscience" – der Wissenschaft vom gesunden Altern.

Für die individuelle Gesundheitsvorsorge bedeutet dies: Wer Inflammaging in den Griff bekommt, investiert nicht nur in die Prävention einer einzelnen Erkrankung, sondern in die systemische Gesundheit des gesamten Organismus. Praktisch bedeutet das, modifizierbare Risikofaktoren wie Übergewicht, Bewegungsmangel, ungesunde Ernährung und chronischen Stress zu adressieren.

Besonders relevant ist die Erkenntnis, dass Inflammaging messbar und damit objektiv verfolgbar ist. Durch regelmäßige Bestimmung von Entzündungsmarkern können Interventionen in ihrer Wirksamkeit überprüft werden. Dies ermöglicht einen datenbasierten, personalisierten Ansatz in der Präventivmedizin.

Die gute Nachricht: Inflammaging ist nicht unvermeidlich. Studien zeigen, dass sogenannte "Super-Ager" – Menschen, die trotz hohen Alters außergewöhnlich gesund bleiben – deutlich niedrigere Entzündungsmarker aufweisen als gleichaltrige Personen mit typischem Alterungsverlauf.


Konkrete Handlungstipps / Takeaways

  1. Anti-inflammatorische Ernährung: Setzen Sie auf eine mediterrane Ernährungsweise mit viel Gemüse, Beeren, Nüssen, Olivenöl und fettreichem Fisch (Omega-3-Fettsäuren). Reduzieren Sie verarbeitete Lebensmittel, Zucker und gesättigte Fette.
  2. Regelmäßige Bewegung: Mindestens 150 Minuten moderate oder 75 Minuten intensive Aktivität pro Woche senken nachweislich Entzündungsmarker. Besonders wirksam ist die Kombination aus Ausdauer- und Krafttraining.
  3. Darmgesundheit pflegen: Fördern Sie eine gesunde Darmmikrobiota durch ballaststoffreiche Ernährung, fermentierte Lebensmittel (Joghurt, Kimchi, Sauerkraut) und vermeiden Sie unnötige Antibiotika-Einnahmen.
  4. Übergewicht reduzieren: Viszerales Bauchfett ist ein aktives endokrines Organ, das entzündungsfördernde Zytokine produziert. Eine Gewichtsreduktion bei Übergewicht senkt Inflammaging nachweislich.
  5. Stressmanagement etablieren: Chronischer Stress erhöht Cortisol und fördert systemische Entzündung. Integrieren Sie Entspannungstechniken wie Meditation, Yoga oder Atemübungen in Ihren Alltag.
  6. Entzündungsmarker monitoren: Lassen Sie bei Ihrem Hausarzt regelmäßig (jährlich) hsCRP und ggf. IL-6 bestimmen, um Ihre Entzündungslage objektiv zu beurteilen und Interventionen zu evaluieren.

Forschung & Projekte

Die Inflammaging-Forschung ist ein hochdynamisches Feld mit zahlreichen therapeutischen Ansätzen in Entwicklung. Senolytische Substanzen, die gezielt seneszente Zellen eliminieren, zeigen in präklinischen Studien vielversprechende Ergebnisse bei der Reduktion systemischer Entzündung. Erste klinische Studien laufen bereits.

Weitere Forschungsschwerpunkte umfassen die Rolle des NLRP3-Inflammasoms als therapeutisches Target, die Modulation des Darmmikrobioms durch Prä- und Probiotika sowie die Entwicklung spezifischer Anti-Zytokin-Therapien. Auch Lebensstil-Interventionsstudien wie die CALERIE-Studie zur Kalorienrestriktion liefern wichtige Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen Ernährung und Inflammaging.


Quellen & Hinweise

  1. Franceschi C et al. (2018): Inflammaging: a new immune-metabolic viewpoint for age-related diseases. Nature Reviews Endocrinology, 14(10):576-590. DOI: 10.1038/s41574-018-0059-4
  2. Ferrucci L, Fabbri E (2018): Inflammageing: chronic inflammation in ageing, cardiovascular disease, and frailty. Nature Reviews Cardiology, 15(9):505-522. DOI: 10.1038/s41569-018-0064-2
  3. Franceschi C, Campisi J (2014): Chronic inflammation (inflammaging) and its potential contribution to age-associated diseases. The Journals of Gerontology Series A, 69(Suppl 1):S4-S9. DOI: 10.1093/gerona/glu057
  4. Olivieri F et al. (2018): Cellular senescence and inflammaging in age-related diseases. Mediators of Inflammation, 2018:9076485. DOI: 10.1155/2018/9076485
  5. Furman D et al. (2019): Chronic inflammation in the etiology of disease across the life span. Nature Medicine, 25(12):1822-1832. DOI: 10.1038/s41591-019-0675-0
  6. Estruch R et al. (2013): Effects of a Mediterranean-style diet on cardiovascular risk factors: a randomized trial. BMC Medicine, 11:207. DOI: 10.1186/1741-7015-11-207
  7. Heneka MT et al. (2015): Neuroinflammation in Alzheimer's disease. The Lancet Neurology, 14(4):388-405. DOI: 10.1016/S1474-4422(15)70016-5
  8. Calder PC et al. (2017): Health relevance of the modification of low grade inflammation in ageing (inflammageing) and the role of nutrition. Ageing Research Reviews, 40:95-119. DOI: 10.1016/j.arr.2017.09.001